Radtour 2013 von Konstanz (Bodensee) nach Menaggio (Comer See)
Die Idee
Nach einiger Pause stand mal wieder eine größere Radtour auf dem Urlaubsplan an. Und unsere Truppe hatte sich irgendwie darauf versteift, richtig in die Berge zu fahren und die Alpen zu überqueren. Da gibt es nun viele Möglichkeiten, aber uns allen war klar: Wenn, dann soll es auch in der Schweiz sein. Welche Route, da waren wir (Kristian und Steffen waren wieder mit von der Partie) zunächst völlig unschlüssig. An einem Nachmittag sind wir verschiedene Erfahrungsberichte durchgegangen, und als ich bei der Route über den Splügen-Pass vorgelesen habe: "und gleich nach der Grenze taucht der Stausee auf, an dessen Ufer halbnackte Italienerinnen liegen" meinten die anderen beiden Jungs: Klar, da fahren wir. Genau vorbuchen wollten wir nichts, im Vorwege haben wir uns lediglich die Fahrkarten für uns und unsere Räder für die Anreise (Tageszug nach Konstanz) und die Abreise (Nachtzug ab Zürich) gekauft und die erste Hotelübernachtung reserviert.
Kurz vor der Fahrt traf ich mich noch mit Werner, einem Kollegen, der schon etliche Alpentouren gemacht hat - und zwar wie wir auf dem Rennrad (bzw. normalem Fahrrad) und nicht mit dem Mountainbike. Er riet uns dringend von dem Splügenpass ab (von einer Federgabelteststrecke hatten wir auch schon gelesen) und empfahl uns alternativ den Albulapass. Und so kam es denn auch...
interaktive Karte
2.9. Anreise
Per Zug ging es für Kristian und mich morgens um halb 11 von Hamburg Richtung Konstanz, Steffen stieg dann um 1 in Kassel zu und brachte unseren Mittagssnack (incl. Dosenbier) mit. Unterwegs merkten wir schon, dass wir alles richtig gemacht hatten: Kaum war die Schönwetterperiode in Norddeutschland vorbei und es wurde im Süden schön fuhren wir in den Süden. Süddeutschland empfing uns mit herrlichem Sommerwetter. Leider fuhr unser Zug nur bis Karlsruhe, wo wir umsteigen mussten - erst eine Stunde später fährt der nächste Zug nach Konstanz. Karlsruhe hat sich mal wieder von seiner "freundlichen" Seite gezeigt: Ich hatte mich geweigert in Karlsruhe die Kommunikation mit den Einheimischen zu übernehmen - Kristian war so mutig, das zu übernehmen. Als er fertig war (er war in zwei Läden und nur zweimal angeblafft worden) bestätigte er meinen Spruch: Über Karlsruhe fahren nur Idioten. Karlsruhe geht gar nicht. Dafür war der Empfang in Konstanz umso netter, nur ein paar Meter mussten wir vom Bahnhof zu unserem im voraus gebuchten Hotel rollen. Mittlerweile war es schon fast halb zehn, und so haben wir uns gleich erstmal ein Plätzchen zum Abendessen gesucht und sind auf der Terrasse vom Konstanzer Kartoffelkeller fündig geworden.
3.9. Anrollen
Es ging los, zunächst noch ganz harmlos. Bei idealem Wetter - vielleicht einem kleinen Tick zu warm - folgten wir dem Schweizer Ufer des Bodensees Richtung Osten. Für mich war das ja schon eine ziemlich bekannte Route, den Weg bin ich ja schon zweimal gefahren, 1994 mit der Schule und 1999 mit Melanie und Marc. Die Route ist ja wirklich traumhaft, aber der Verkehr... Mittlerweile fährt ja Gott und die Welt mit Kind und Kegel und Anhänger und allem um den See. Es war doch sehr viel los. Unsere Mittagspause verbrahten wir in Rorschach, in einem kleinen Park direkt am Seeufer. Irgendwie ging es richtig gut an, und wir folgten den guten Ausschilderungen, und so bogen wir nahezu fließend vom Bodensee ab und in das Rheintal ein. Zusammen mit Autobahn und Bahnstrecke folgt der Radweg dem Flusslauf nach oben - allerdings mit nahezu unmerklicher Steigung, das Tal ist breit und flach. Über weite Strecken lief der Radweg direkt auf dem Rheindamm - und wir kamen gut voran. In einem kleinen Ort sind wir abgebogen und haben unsere Vorräte aufgefüllt und uns geeinigt, bis Buchs zu fahren.
Ich hatte die anderen schon den ganzen Tag mit dem Spielen am Handy genervt, denn diesmal fuhr ich mit Handyhalterung, GPS-Smartphone, Pufferakku und vom Nabendynamo betriebenen Ladegerät. Auf dem Rheindamm versuchte ich dann, die Hotellage in Buchs zu klären. Das funktionierte nur leidlich, und ich wäre auch einmal fast vom Rheindamm runtergeradelt - was ich trotzdem rausgekriegt habe: zumindest in den Internetbasierten Buchungssystemen ist nichts zu finden. In Buchs selbst (die Uhr zeigte kurz nach halb sechs) kauften wir zunächst nochmal Wasser, und suchten dann ein Hotel. Es gab ein paar, aber bevor wir nach Preisen fragten, wollten wir zur Tourist-Information. Die fanden wir - wie sich später zeigen ist das in der Schweiz fast immer so - im Bahnhof - allerdings schon geschlossen. Also telefonierten wir die Hotels und Pensionen ab - erfolglos, alles ausgebucht. Dann holten wir die Handys raus - auch kaum etwas zu finden. Dann den Reiseführer Rheinradweg und telefonierten die umliegenden Orte ab. Nichts. Irgendwann wurden dann die vom Handy immer wiedere empfohlenen Hotels im knapp 10km entfernten Vaduz (Liechtenstein) attraktiv -und Kristian reservierte ein Zimmer für 390 Chf im 4-Sternehotel. Wohlgemerkt, ein Zimmer, also ein Doppelzimmer mit Zustellbett.
Der Weg nach Liechtenstein war kurz und genauso leicht wie die übrigen Wege im Rheintal und auch das Redsidence Hotel fanden wir schnell. Dort wurde uns das Gepäck vom Fahrrad abgenommen und in das ungewöhnliche Zimmer gebracht. Ungewöhnlich, weil das Badezimmer mit einer Glaswand vom Zimmer getrennt war. Allerdings mit einem Milchglasanteil in der unteren Hälfte... Wir wanderten noch kurz duch den Ort - aus Sicht eines Großstädters eher durchs Dorf - und fanden zunächst alle Restaurants viel zu teuer. Wir hatten uns einfach noch nicht an die Schweizer Preise gewöhnt. Wir entschieden uns dann für einen Laden, der nicht günstig, aber günstiger war, und wo man ganz nett sitzen konnte, ohne das neureiche Pärchen einen mit Luftblasentexten vollschwallern, untermalt von Malle-Party-Musik, wie es in der Fußgängerzone der Fall war.
4.9. Probetag
Dem Tipp von meinem Kollegen folgend wollten wir nicht dem Rheintal komplett folgen, sondern schon einmal einen Probepass fahren, um ein wenig Steigungen zu trainieren. Der Luezisteig bietet sich dafür ideal an, dies ist die Abkürzung einer Rheinschleife, die auf ca. 450m startet, über 720m Passhöhe geht und auf 470m endet. Wir haben es geschafft, aber ich war tatsächlich etwas desillusioniert, wie mühsam es doch ist, den Berg hochzufahren. Die Abfahrt nach Maienfeld (ins Dörfli von Heidi) war dafür easy, insbesondere, da die Straße eine hervorragende Qualität hat. Weiter ging es wieder über den ausgeschilderten Radweg immer entlang des Rheintals - das zusehend enger und "gebirgiger" wurde. Kleinere Steigungen ergaben sich auch immer wieder.
In Chur versorgten wir uns mit Nahrungsmitteln für das Picknick, am Bahnhof machten wir Halt um kurz an der Touri-Info (man lernt!) Infos über Quartiere am anvisierten Zielort Thusis einzuholen. Es gab für uns jedoch lediglich eine Telefonnummer. Tja, hinter Chur wurde das Tal erstmal richtig industriell, wir verfuhren uns in einem Gewerbegebiet und fanden keine nette Picknick-Stelle. Ich hielt irgendwann einfach an - der Punkt war nicht schön, aber ich hatte Hunger. Gott sei Dank fuhr Kristian noch 20m weiter, und fand einen "richtigen" Picknickplatz mit Tischen und Stühlen. Nach dem Essen entschieden wir uns, bis Thusis zu fahren, und so telefonierte ich zunächst mit der Touri-Info und dann mit den Hotels. Und siehe da, man kann in der Schweiz auch für 135 Chf ein Dreibettzimmer bekommen. Dazu kommt dann allerdings noch das Frühstück...
Ich faselte noch etwas von "in einer Stunde sind wir da, sind ja nur knapp 20km". Aber da hatte ich mich getäuscht, denn es wurde gleich hinter Bad Ems richtig bergig. Der Radweg nach Thusis führt nicht durchs Tal über Reichenau, sondern kürzt über einen tollen unbefestigten Weg entlang des Hangs durch den Wald ab und trifft erst danach auf den Hinterrhein. Zum ersten Mal spürten wir echte Ruhe, denn Straße und Eisenbahn waren weit entfernt. Allerdings ist es anstrengend, 10%ige Steigungen auf einem Kiesweg hochzuradeln. Irgendwann kamen wir wieder ins Tal, und mussten nur noch ein paar Kilometer bis zum Ziel Thusis radeln. Gott sei Dank liegen die Hotels dort im oberen Stadtteil, und somit war der höchste Punkt unserer Reise tatsächlich das Ziel, und nicht die Passhöhe vom Luezisteig, auf der wir morgens um 11 waren. Der Ort war schnell erkundet, und beim kleinen Rundgang wählten wir gleich die Pizzeria für unser Abendessen aus.
5.9. Es wird ernst!
Am nächsten Morgen erwartete uns - bei immer noch herrlichem Wetter - der erse Teil des Anstiegs auf den Pass. Und gleich hinter Thusis ging es hoch, richtig hoch. Über die alte Straße stiegen wir schnell an, um ca. 50m höher auf die recht vielbefahrene Nationalstraße 3 entlang des engen und steilen Albulatals zu gelangen. Auf dem unangenehmsten Streckenabschnitt unserer Reise mussten wir ein paar km auf dieser Straße fahren, hier gab es noch verschärfend etliche Baustellen und wir mussten durch einige Tunnel. Vor Tiefencastel zweigt der Radweg wieder von der Nationalstraße ab, und es geht kurz den Hang hoch - zum ersten Mal kratzten wir an der 1.000m Linie. Danach ging es runter nach Tiefencastel, wo wir uns mit Getränken und Nahrungsmitteln eindecken wollten. Wir fanden allerdings nur einen Bäcker, einen Lebensmittelladen gibt es in Tiefencastel nicht mehr. Also gab es belegte Brötchen statt einfachen in Kombination mit Picknicksachen.
Der Abschnitt hinter Tiefencastel wurde wieder schön, das Albulatal wird lieblich, und der Großteil des Verkehrs folgt der Nationalstraße 3 über den Julierpass Richtung St.-Moritz, so dass wir prima auf der Albulastraße fahren konnten. Durch Surava und Alavaneu ging es ganz gut, unsere Mittagspause machten wir kurz vor Filisur nahe des berühmten Landwasserviadukts. Danach fuhren wir zunächst in das Dorf, um nocheinmal Wasser nachzukaufen, aber der kleine Coop hatte zu, so dass es direkt weiterging. Und jetzt wurde das Tal schnell eng und dunkel, und irgendwie wunderte man sich, warum die Straße eigentlich eher runter an den Fluss führt, während die Bahnlinie etwas entfernt hoch am Hang entlangläuft. Tja, und dann merkten wir, was uns erwartete: Die Straße wurde steil, richtig steil, eng am Hang schlängelt sie sich entlang der Bergüner Klamm, mit einigen Serpentinen. Von unten sieht man leider immer wieder den folgenden Straßenverlauf. Irgendwann konnte ich nicht mehr, schimpfend setzte ich mich auf eine vielleicht 70cm breite nicht asphaltierte Ausweiche. Ich war am Ende. Nach einer kleinen Erholung mussten wir aber noch die letzten Meter ansteigen, bis das Tal sich wieder öffnet und wir das Dörfchen Bergün (1.390m) erblicken - das sogar wieder etwas tiefer liegt.
Es war zwar erst halb drei, aber zumindest ich war fertig und wollte nicht weiter fahren. Ohne viel nachzudenken fuhren wir zum Bahnhof, und siehe da: dort lag die Touristinformation. Und wieder hatten wir Pech: Bergün war - obwohl Wintersportort mit einer Vielzahl von Hotels - laut Auskunft der Touri-Info ausgebucht. Wahrscheinlich wegen der am nächsten Tag in Bergün startenden Oldtimerrallye. Aber die Touriinfo liegt ja im Bahnhof, und die gleichen Damen verkaufen auch die Zugfahrkarten, und so entschieden wir uns, das angebotene Zimmer im Nachbarort Preda (1.790m) anzunehmen. Wir tranken noch einen Kaffee und luden dann uns und die Räder um 15:14 in den Zug, mit dem wir über eine der faszinierendesden Bahnstrecken der Welt durch Kehrtunnel und zahlreiche Viadukte nach Preda anstiegen. Dort zeigte sich - die Räder hätten wir in Bergün lassen können, Preda besteht eigentlich nur aus Bahnhof, Hotel und zusätzlich 3 Häuschen. Jedenfalls gab es in mittlerweile alpiner Atmosphäre am Nachmittag auf der Terrasse ein Begrüßungsbierchen, und wir relaxten den Rest des Tages. Die Auswahl des abendlichen Restaurants viel leicht: es gab ja nur eins. Mit Schweizer Spezialitäten im Berggasthof ging unsere erste richtige Alpenetappe zu Ende.
6.9. Höhepunkt
Endlich war es soweit: Die Alpen sollten gequert werden. Vorher galt es allerdings noch, wieder nach Bergün herunterzufahren, um die gesamte Passstrecke auch tatsächlich per Rad zurückzulegen. Wir haben hin und her überlegt, runterzuradeln oder mit dem Zug zu fahren, uns dann aber doch für den Zug entschieden. Wir wollten nicht die gleiche Strecke herunterradeln um sie unmittelbar danach wieder hochzufahren. Die Schaffnerin im RhB Zug fand unseren 53 Chf teuren Plan ziemlich ungewöhnlich und bekloppt, aber das störte uns nicht. Ein wenig haben wir aber doch geschummelt: den Großteil unseres Gepäcks ließen wir in Preda in dem kleinen Hotel zurück.
In Bergün angekommen haben wir uns zunächst mit Getränken und Pick-Nick-Sachen eingedeckt. Dabei unterlief mir ein kleiner Fehler, der sich später als Goldgriff zeigen sollte: Normalerweise habe ich in einer Fahrradflasche immer Eistee, und in zweien Wasser. Nun glaubte ich, dafür mit Limette aromatisiertes Wasser gekauft zu haben - tatsächlich handelte es sich um Rhäzunser Limette - eine richtige Limonade. Ich hatte nur Zuckerwasser als Getränk dabei.... Die ersten paar km nach Preda waren zwar anstrengend, aber nicht vergleichbar mit der "Bergüner Klamm" am Vortag. Am Hotel in Preda, nach ungefähr 40% des Anstiegs, haben wir unser Gepäck geholt und unser zweites Frühstück eingenommen. Bis auf Steffen, der hat nur eine Banane gegessen und sein Käsebrötchen verschmäht. Nach ca. 20 Minuten ging es weiter, auf die weiteren 8,5km bzw. 530 Höhenmeter. Die Steigungen waren mal mehr, mal weniger, aber es ging kontinuierlich hoch. Mich trieben die wunderschönen Ausblicke, die uns kontinuierlich überholenden Oldtimer, das perfekte Wetter, die immer alpiner werdende Stimmung - und natürlich meine Kohlenhydrathaltige Powerlimo den Pass hoch.
Auf der Passhöhe erwartete uns nicht nur schönes Wetter und das Schild mit Angabe der Höhe, sondern auch ein kleiner Gasthof (Ospiz), in dem wir uns zunächst etwas zu trinken (die erste Rivella), später aber auch ein paar Rösti als Mittagessen gönnten. Auch wenn wir den Höhepunkt der Reise erreicht hatten - das Ziel noch nicht, und so ging es nach dem ausgiebigen Mittag weiter. Die Abfahrt ging wie erwartet recht flott, und ich begann ganz langsam meine Angst vor den Abfahrten in Respekt umzuwandeln. Und endlich konnte der Akku für mein Telefon wieder kräftig geladen werden. Angekommen im Engadin - in La Punt - war erstmal guter Rat teuer: Wo fahren wir jetzt hin? Es war 14:00. und der Wetterbericht war deutlich: wir hatten den vorletzten schönen Tag. Um den Comer See zu erreichen, mussten wir in den nächsten anderthalb Tagen dahin. Also weiter, wir reservierten in Sils-Maria ein Hotelzimmer per Telefon und machten uns auf: Gegenwind und eine leichte kontinuierliche Steigung sollten uns die nächsten 26km begleiten. Nur unterbrochen von sehr heftigen kurzen Steigungen (und Gefällen) kurz vor St. Moritz. Am wunderschönen Champferer See war die Stimmung am Ende, wir haben uns schon angegiftet. Es fehlten nur noch ein paar km, und wir konnten nicht mehr. allesamt.
Nach einer kleinen Notpause ging es dann auf die letzte Etappe, und so erreichten wir mit Müh und Not den Rentner und Skifahrerort. Unser Zielhotel war schon etwas abgewohnt, und wir rissen den Altersdurchschnitt im Hotel und Ort deutlich herunter. Wir fühlten uns nicht wohl, und taten uns auch schwer, abends ein Restaurant zu finden. Am Ende wählten wir das kleinste Übel, nämlich das günstigste Restaurant. Passend zur Stimmung bekam Steffen Halsschmerzen.
7.9. Runter nach Italien
Heute - am letzten Tag mit durchgängig schönem Wetter - verabschiedeten wir uns aus der teuren Schweiz. Steffen war ziemlich erkältet - mit Fieber, aber da uns eine technisch einfache Etappe (1500m bergab) erwartete dröhnte er sich mit Komplexmedikamenten zu und es konnte los gehen. Nach kleineren Einkäufen ging es Richtung Maloja-Pass. In Nord-Süd Richtung ist der Anstieg relativ leicht, es geht vom Silser See noch ca. 30m hoch, und da empfängt uns schon ein Aussichtspunkt, von dem aus man wunderbar den Anfang des Passes ansehen kann. Das habe ich lieber nicht gemacht, ich hatte auch so schon genug Respekt vor der Abfahrt. Und dann ging es los, zunächst über eine Vielzahl von Serpentinen, später dann auch über gerade Abschnitte ging es runter. Bremsen, bremsen, und immer wieder bremsen. Flott durchquerten wir das Bergell, erst die schweizer Seite, und dann über die Grenze nach Italien. Auf italienischer Seite verließen wir die Straße und folgten den ausgeschilderten Radwegen - allerdings ging es mal auf der linken Seite des Hangs, mal auf der rechten Seite erst bergauf, und dann bergab. An einem schönen Platz machten wir Picknick. Nach der Pasue waren wir dieses Spielchen leid, und wir folgten wieder einem Stück der Straße, kurz vor dem Städtchen Chiavenna ging es wieder auf den Radweg.
In Chiavenna merkte man gleich, in Italien angekommen zu sein: Die Restaurants, die Gäste, alles war etwas entspannter, dafür gab es nur lückenhafte Ausschilderungen. Per GPS-Smartphone führte ich uns auf die neuen, gut ausgebauten aber nicht ausgeschilderten Radwege entlang des Flüsschens Mara zum Lago di Mezola. Dort angekommen, empfingen uns auch die ersten halbnackten Italienerinnen am Badestrand, und wir kehrten in einem kleinen Strandcafe ein. Eine Überraschung gab es bei der Rechnung: für drei Softdrinks und drei Kaffee zahlten wir (Kristian hatte Schweizer Preise im Kopf und einen 20 Euro Schein mit den Worten "ich habs passend" gezückt) lediglich 7 Euro 20. Willkommen in Italien. Wir legten als Ziel den noch ca. 15km entfernten Ort Colico am Nordufer des Comer Sees fest und versuchten, per Handy ein Hotel zu reservieren. Es gelang uns nicht, und so fuhren wir auf gut Glück weiter. Kurz vor Colico mussten wir kurz den Weg von der Straße auf den Radweg im dichtesten Feierabendverkehr suchen, in Colico dann lange die Tourist-Information. Willkommen in Italien!
Gott sei Dank hatte die Touri-Info noch auf, und uns konnten Schlafplätze in einem freundlichen Bed- and Breakfast vermittelt werden. Dort angekommen fiel Steffen fast sofort ins Bett, ihm ging es wirklich nicht gut. Nachdem Duschen suchten wir ein Plätzchen zum Abendessen, in einem der von unserem Vermieter empfohlenen Restaurants fanden wir zwischen lauter Einheimischen ein schönes Abendessen. Für mich war dieser mediterrane, laue Sommerabend am Comer See der schönste Abend unserer Reise. Unterstützt natürlich durch das Gefühl, angekommen zu sein.
8.9. Lungolago
Wie vorausgesagt erwartete uns bescheidenes Wetter. Bereits in der Nacht hatte es immer wieder geregnet, und morgens nieselte es noch beim Frühstück - dafür ging es Steffen schon deutlich besser. Wir hatten uns nur eine kleine Etappe vorgenommen: Auf dem östlichen Ufer des Comer Sees folgten wir der alten Straße bis Varenna. Die Etappe war sehr schön und relativ verkehrsarm, es erinnerte mich ein wenig an die Gardaseestraßen. Auch wettermäßig hatten wir relativ viel Glück, der Regen verzog sich immer mehr. Während eines kleinen Schauers haben wir uns untergestellt, ansonsten nieselte es höchstens. In Varenna angekommen schien die Sonne, und wir warteten mit einem Espresso an dem kleinen Hafen auf die Abfahrt unserer Fähre nach Menaggio. Unseren Zielort erreichten wir kurz vor 14 Uhr, und das Wetter drohte richtig regnerisch zu werden.
Leider war die Touri-Info geschlossen (Mittagspause), und so verschoben wir die Quartiersuche auf später und gingen erstmal eine Pizza essen. Danach suchten wir im strömenden Regen die Touriinfo auf, um eine Ferienwohnungen für drei Nächte zu suchen - die Auswahl wurde uns leicht gemacht, es gab im Ort nur eine Wohnung die im Zentrum frei und bezahlbar war. Nach Übergabe brachten wir unser Gepäck einschließlich der Fahrräder in die Wohnung. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir in und um die Wohnung, da wir am Sonntag nicht Einkaufen konnten gingen wir abends noch einmal Pizza essen. Dabei begann es richtig zu gießen, so dass es durch die Markise regnete und wir in den Gastraum flohen.
9.9. Radlos
In der Nacht schien es sich ausgeregnet zu haben, am Morgen war das Wetter deutlich besser. Noch vor dem Frühstück gingen Steffen und ich einkaufen - denn mittlerweile war Steffen annähernd gesund, dafür ging es Kristian schlechter. Nach dem ausgiebigen und späten Frühstück gingen wir gleich nochmal einkaufen - für das Abendessen. Erst um kurz vor eins machten wir auf den Weg, den ersten Tag ohne Fahrrad zu gestalten. Mit dem Tragflächenboot fuhren wir in den Ort Argegno, wo die Seilbahn nach Pigra startet. Direkt nach der Mittagspause fuhren wir in den kleinen Ort über dem Comer See hoch. Gemeinsam gingen wir bis zum ca. 12 min. entfernten Aussichtspunkt (der sich nicht lohnte) und wieder in das Dorf zurück, wo wir noch einen kleinen Kaffee zu uns nahmen. Danach trennten wir uns, Kristian nahm wieder die Bahn auf den Weg nach unten, während Steffen und ich zu Fuß heruntergingen - schließlich hatte ich auf sein Anraten hin extra Wanderschuhe über die Alpen geschleppt. Am Hafen trafen wir uns - kurz vor Abfahrt des Dampfers zurück nach Menaggio wieder mit Kristian. Abends konnten wir endlich selber kochen - auf Dauer ging uns die Essengeherei auf den Geist.
10.9. Tourist
Wieder hatte es in der Nacht geregnet, und unser Tag begann ganz ähnlich wie der vorige: erst mit einem ausgiebigen Frühstück und dann mit einem Spaziergang zum Hafen. Mit einem Katamaran fuhren wir nach Como. Dort stellten wir bald fest: richtig gelohnt hat sich der Weg nicht. In einem kleinen Cafe aßen wir eine Kleinigkeit, dei Stadt war schnell durchwandert, reizte uns aber überhaupt nicht. Und ehe wir uns langweilen, sind wir schon nach gut zwei Stunden wieder aufgebrochen. Mit dem Bus ging es zurück nach Menaggio. Der Bus kam quasi am Supermarkt an, und so kauften wir erstmal Lebensmittel für das Abendessen ein. Ein kurzes Eis am See, und dann begann es auch schon wieder zu regnen. Also ab in die Wohnung - packen, die letzten Postkarten schreiben und kochen. Mit selbstgemachtem Insalate con tonno als Vorspeise und Pasta Verdura als Hauptgericht verabschiedeten wir uns kulinarisch von Italien.
11.9. Transfer
Unser Ziel des Tages hieß Zürich. Bis Lugano mussten wir radeln, ab dort hatten wir um 14 Uhr Fahrradplätze im Zug nach Zürich reserviert. Vor uns lagen also noch ca. 35km Radweg. Gott sei Dank war das Wetter wieder schön - allerdings kränkelte Kristian mittlerweile ziemlich. Steffen hatte gut aufgepasst, denn an einer einzigen Tafel hatte er etwas von einem Radweg auf einer alten Bahntrasse Richtung Luganer See gelesen. Mit ein bischen Improvisationstalent fanden wir auch die alte Bahntrasse - und so war der Anstieg vom See auf den Pass relativ einfach. Wir lernten wieder kennen, wie gut die Radwege in Italien sind, wenn sie gebaut sind, aber auch, wei schlecht sie ausgeschildert sind. Ungefähr im mittleren Drittel der Strecke zwischen den beiden Seen ist der Radweg noch nicht fertig, aber auch auf der Straße fuhr es sich gut. In Porlezza, dem italienischen Ort am Ostende des Luganer Sees empfing uns ein letztesmal eine typisch italienische Situation: Die alte Straße am See entlang war wegen Steinschlag für alle Fahrzeuge und Fußgänger (außer Anlieger) gesperrt, die neue Straße durch den Tunnel war aber ebenfalls für Radfahrer gesperrt. Wir entschieden uns für die alte Straße, und konnten der tollen Straße mehr oder weniger oberhalb des Luganer Sees folgen. Der Grenzübergang in die Schweiz liegt eingequetscht zwischen zwei Tunneln, woraus deutlich wird, wie steil das Seeufer ist. Auf der Schweizer Seite stieg der Weg zunächst ziemlich an, in Lugano selbst mussten wir dann erst runter ins Zentrum, um danach wieder zum Bahnhof hochzufahren. Dort kamen wir um kurz nach 12 an - wir hatten also ca. 2 Stunden Zeit.
Nach dem Abholen der Fahrkarten aßen wir die mitgebrachten Sandwiches und beobachten das sommerliche Leben auf dem Bahnhofsvorplatz - insbesondere das Gebahren der Taxifahrer. Danach noch den kurzen Weg zum Bahnsteig einschlagen, und damit begann definitiv die Rückfahrt. Mit einem ziemlich gut gefülltem Schweizer Intercity-Neigezug fuhren wir und unsere Räder über den Gotthard - und auf der Nordseite kamen wir auch gleich im Herbst an. Im Süden: Einfahrt in den Tunnel bei 22 Grad und strahlender Sonne, Ausfahrt auf der Nordseite bei 13 Grad und leicht regnerischem Wetter. Nach und nach begannen alle Reisenden, sich etwas überzuziehen. In Zürich auf dem Bahnsteig empfanden wir es auch als richtig kalt, aber Gott sei Dank war es nicht weit. Schon zwei Tage zuvor hatte Kristian unser Hostel für die letzten zwei Nächte reserviert. Nach dem Einchecken mussten wir uns zunächst um die Räder kümmern, wir hatten keine richtige Abstellmöglichkeit im Hotel. Drei Treppen hochschleppen und im winzigen Zimmer abstellen wollten wir sie aber auch nicht, und machten wir am frühen Abend einfach den Versuch, mit den abgerüsteten Rädern wieder zurück zum Bahnhof zu fahren und in der Velostation zu fragen, ob wir die Räder dort abstellen können. Und tatsächlich: für 1 Franken pro Tag ist das möglich. Wir hatten also für die nächsten zwei Tage eine Sorge weniger: unsere Räder waren im bewachten Parkhaus. Auf dem Rückweg bummelten wir durch die Kneipengasse und entschieden uns für ein Brauhaus - das zwar günstig, aber dennoch nicht empfehlenswert war.
12.9. Stadt
Dieser Tag - schon etwas herbstlich - war 100% Zürich gewidmet. Zunächst mussten wir uns etwas zum Frühstück suchen - im Hostel wollten wir uns jedenfalls nicht selber versorgen. Ich habe mich durchgesetzt, und wir sind zum Bahnhof gegangen, und haben dort im Bahnhofs-Buffet gefrühstückt. Das war jetzt wirklich nichts besonderes, aber für Schweizer Verhältnisse preiswert. Danach ging es für Kristian schnurstrachs zur Apotheke, denn seine Erkältung hatte sich festgesetzt. Und so verbrachte er den Tag im Hostel. Steffen und ich gingen zunächst ins Schweizer Landesmuseum - sehr interessant, die ungewöhnliche Geschichte der Schweiz so aufbereitet nachzuvollziehen. Viele Schweizer Marotten haben schon einen ganz alten Hintergrund. Außerdem habe ich für mich mitgenommen, dass die Schweiz anscheinend als einziges Land bisher - und zwar schon im 19. Jahrhundert - den gedanklichen Wechsel vom quantitativen zum qualitativen Wachstum vollzogen hat. Jedenfalls ist das meine höchstunwissenschaftlich ermittelte und überhaupt nicht fachlich begründete Meinung.
Zum Mittag blieben wir gleich im Museumscafe - es war zwar nicht gut, aber unkompliziert und wir hatten gerade Hunger. Danach wanderten wir am westlichen Ufer des Limmat durch die Innenstadt zum Zurichsee und dann am östlichen Seeufer entlang, später ging es mit der Straßenbahn wieder in die Innenstadt zurück. Zürich war kleiner als wir dachten. Am frühen Nachmittag waren wir wieder zurück im Hostel und fanden Kristian wie erwartet dort vor. Tatsächlich hatte er sich etwas erholen können, wie sich gezeigt hat. Vor dem Abendessen gab es noch einen sündhaft teuren Kaffee - um wachzuwerden und die Zeit totzuschlagen. Als abendliches Restaurant wählten wir einen Mexikaner - sehr gut, aber nicht ganz preiswert. Das Cafe direkt neben unserem Hostel durfte abschließend auch noch etwas an uns verdienen: wir tranken noch einen Cocktail. Steffen wollte zwar eigentlich keinen Alkohol, aber dann wurde es doch ein Killer-Island-Ice-Tea.
13.9. Chillout
Der letzte Tag - und die Sonne schien wieder. Morgens mussten wir packen, da wir noch vor 10 auschecken mussten - unser Gepäck konnten wir jedoch im Hostel lassen. Für das Frühstück entschieden wir uns für ein Cafe min Frühstücksangebot unweit unseres Hostels. Damit überraschten wir die Servicekraft, sie hatte keine Brötchen mehr und musste erst welche auftauen. Uns wars Recht, wir hatten als Touristen ja sowieso Zeit. Nach dem Frühstück ging es zur Straßenbahnhaltestelle und weiter per S-Bahn auf den Uetliberg, den Hausberg Zürichs. Wir genossen den Ausblick und eine letzte Rivella, danach ging es per S-Bahn nach Zürich West - auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin. Der von mir erwartete hippe Szenestadtteil in ehemaligen Industrieanlagen erwies sich in der Realität als relativ kleine Ansammlung mehrerer zu stark modernisierter ehemalliger Fabrikhallen. Von Kultur war - zumindest mittags - nicht viel zu sehen, und kulinarisch war es auch enttäuschend.
Wir fuhren mit der Straßenbahn zurück in die Stadt, den weiteren Nachmittag verbrachten wir mit shoppen und Kaffeetrinken. Gegen 18 Uhr befreiten wir unsere Räder aus dem Velo-Parkhaus. Als letztes Abendessen hatten wir uns schon frühzeitig auf "Züricher Geschnetzeltes" festgelegt, ein gefälliges Restaurant hatten wir am Nachmittag schon gefunden. Tja, nach dem Abschiedsessen galt es noch das Gepäck ein letztes Mal auf die Fahrräder zu schnallen und die kurze Strecke zum Bahnhof zu radeln. Um 20:42 fuhr der Nachtzug nach Hamburg bzw. für Steffen nach Göttingen.
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